Ich hatte ja begonnen, zu beschreiben, welche wichtige Rolle Zeichen in unserem Leben spielen. Kurz gesagt: sie steuern unsere Aufmerksamkeit, koordinieren Handlungen und machen unsere Welt sinnvoll. Dazu bald mehr. Semiotik ist ebenso kurz gesagt strukturiertes, wissenschaftlichen Prinzipien folgendes Nachdenken über Zeichen und ihre Funktion. Aber wo kommt Semiotik denn zum Einsatz, werde ich häufig gefragt, und warum hab ich bis jetzt so wenig von Semiotik gehört, wenn sie so nützlich ist? Ein interessanter Bereich ist die semiotische Marktforschung.
Wo wird Semiotik praktisch angewendet? Z. B. in der Kosumenten- und Marktforschung
Mit dem ersten Schlaglicht auf Anwendungsfelder von Semiotik will ich auf beide Fragen eine erste Antwort geben. Ein interessantes und sehr ertragreiches Anwendungsfeld von Semiotik ist die Markt- und Konsumentenforschung. In unserer Beratung KMB| übernehmen wir z.B. seit über zehn Jahren regelmäßig Aufträge zu semiotischer Marktforschung. Funktionieren diese Kosmetik-Werbespots? Welches Verpackungsdesign ist besser? Findet dieses Produkt im deutschen Markt seine Käufer? Welche Farbe ist die beste für diese Maschine? Wie wird meine Stadt attraktiver? Wie komme ich wieder in den Stadtrat? Diese und ähnliche Fragen haben wir schon bearbeitet und beantwortet.
Dafür gibt es ein inzwischen gut erprobtes Vorgehen. Semiotik identifiziert Strukturen der zu untersuchenden Werbung, des Produkts oder des Designs, vergleicht diese mit früheren und begleitenden Zeichen desselben Produkts, derselben Marke oder Unternehmen und zieht dann den Wettbewerb hinzu. Dann überprüfen wir das in wiederholten Durchläufen mit sinnvollen und hilfreichen Ansätzen aus Kultur- und Medienwissenschaft, Anthropologie, Soziologie und Psychologie aber auch mit handfesten Detailstudien zum jeweiligen Gegenstand. Am Ende stehen begründete und plausible Thesen zum Verständnis und zur Wirkung von Werbung, Produkt, Design und Marke. Dies folgt der detektivischen Methode, die ich ja schon in einem früheren Podcast (Link) beschrieben habe.
Semiotische Marktforschung von KMB| Wiesbaden. Führend in Deutschland – trotzdem ein Exot
Auch wenn wir bei KMB| da sicher immer noch Pionierarbeit leisten, stehen wir damit nicht allein. Renommierte internationale Marktforschungsunternehmen nutzen für den deutschen Markt unsere semiotische Expertise und bieten sie in ihrem Methodenspektrum mit an. Helen Karmasin hat mit „Produkte als Botschaften“ sicher den Klassiker dazu im deutschsprachigen Raum geschrieben. Jean Umiker-Sebeok hat mit „Marketing and Semiotics“ das internationale Standardwerk zu dem Thema herausgegeben. Mit meiner eigenen Studie zum Erfolg der Marke Coca-Cola in Deutschland habe ich wiederum eine in dieser Form auf Deutsch bis heute meines Wissens einzigarte umfassende Arbeit zu einer Marke vorgelegt.
Aber warum gehört Semiotik dann nicht längst zum Standardrepertoire aller Marketingabteilungen, Werbeagenturen und PR-Berater? Das hat mit Macht, Erziehung und Renditeerwartungen zu tun.
Schwer umkämpft der Markt für Marktforschung
Die Management-Abteilungen deutscher Unternehmen werden anders als es zum Teil in französischen oder angloamerikanischen Unternehmen der Fall ist von Absolventen wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge beherrscht. Und da ist eine Zahl oder zumindest ein Tortendiagramm eine bedeutend härtere Währung als eine erklärende Erzählung. Auch in den humanwissenschaftlichen Hilfswissenschaften der Marktforscher – Soziologie und Psychologie – haben die quantitativ Arbeitenden einen einfacheren Stand als die qualitativ ausgerichteten Anbieter und Abteilungen. Und aus Sicht der Marktforschungsunternehmen ist eine semiotische Marktforschung, die üblicherweise reines Desk-Research sein kann, deutlich unattraktiver da weniger lukrativ. Wenn schon qualitative Studien, dann schon bitte mehrere Fokusgruppen oder Reihen umfangreicher Tiefeninterviews. Ich will den Erkenntniswert dieser Methoden keinesfalls kleinreden, am besten arbeitet semiotische Marktforschung ergänzend und vorbereitend zu quantitativen und klassischen qualitativen Studien.
Aber wann kommt Semiotik dann zum Einsatz? Dafür gab es in der Vergangenheit zwei ganz typische Situationen. 1) Das Kind ist schon in den Brunnen gefallen. 2) Alle sind ratlos, Studienergebnisse lassen sich nicht erklären.
Semiotische Marktforschung – wenn nichts mehr geht
Mehrere Agenturen haben ihre kreativen Ideen gepitcht, wie man so sagt. Das Unternehmen hat sich mit umfangreichen Marktforschungen abgesichert und sich schließlich zu einer Entscheidung durchgerungen. Und das Ergebnis floppt. Die Produkte bleiben in den Regalen liegen. Der Rückstand zum Wettbewerb wird nicht kleiner, sondern größer. Die Kommunikation der Marke wird nicht wiedererkannt. In so einer Situation steigt schlagartig die Bereitschaft zu innovativen Herangehensweisen und neuen Helfern, die das Problem lösen sollen. Was sicher auch damit zu tun hat, dass keiner zu sehr mit dem Fehlschlag in Verbindung gebracht werden will und ein Beharren auf alten Positionen und Methoden das Risiko birgt, dass man leicht der Verlierer des unternehmensinternen Schwarze-Peter-Spiels werden kann, das nun losgeht.
Einige unserer interessantesten Semiotik-Aufträge haben wir in so einer Situation erhalten, nach einem Anruf von verzweifelten Marktforschungsabteilungen, Produktmanagern oder Agenturen. Diese Aufträge haben den großen Reiz, dass es meist schon umfangreiche Marktforschungsergebnisse – oder zumindest Rohmaterial – gibt, die dann sehr gut in die semiotische Marktforschung, in den semiotischen Zirkel, eingebaut werden können. Bis jetzt konnten wir noch immer die Ursache des Scheiterns entdecken.
Semiotische Marktforschung macht aus den Bäumen wieder einen Wald
Z. B.: die Kampagne versuchte zwei sich grundsätzlich widersprechende psychologische Motive zu adressieren. Die Verbindung zur alten, schwächelnden Marke wurde so radikal gekappt, dass die alten Käufer vor den Kopf gestoßen wurden. Neue konnten aber in der Kürze der Zeit nicht in ausreichender Zahl gewonnen werden, da diese auch noch das alte Bild im Kopf hatten. Die neu gewählte Designfarbe ist in den Köpfen der Zielgruppe leider schon mit einem fremden Thema belegt gewesen. In den Kriseneinsätzen waren unsere Ergebnisse häufig frappierend klar und eindeutig, so dass hinterher gefragt werden muss, wie dies in den vorher unternommenen Schritten des Absicherns und Taktieren übersehen werden konnte. Einfach gesagt hat die Semiotik hier aus den Bäumen wieder einen Wald gemacht.
Bei aller Hilfestellung, die Semiotik den Unternehmen leisten konnte, haben diese Einsätze immer den Nachteil, dass sie nicht wirklich als Case Study taugen, denn das Okay für eine Veröffentlichung wird es nie geben. Und in der Verallgemeinerung wie hier, sagen sicher viele: das kann doch gar nicht sein. Aber es ist so. Leider viel zu oft.
Semiotische Marktforschung – ideal bei komplexen Fragestellungen
Weniger politisch und methodisch sogar richtiger ist der Einsatz der Semiotik daher zur Vor- und Nachbereitung klassischer quantitativer und qualitativer Studien. Beide leiden gleichermaßen daran, dass sie Aufgaben, gewünschte Erklärungen und Entscheidungen auf mit ihrem Methoden handhabbaren Fragestellungen runterbrechen müssen. Und Fragebögen sind endlich, Fragen müssen unmissverständlich und leicht zu beantworten sein. Die Aufmerksamkeit und Energie in Fokusgruppen – gerade bei Berufstätigen nach einem 8-Stunden-Arbeitstag – fällt nach 1,5 – 2 Stunden schnell ab. Die Frage nach dem Warum fällt da oft unter den Tisch. Hier kann die Semiotik mit ihrem strukturierenden und vergleichenden Vorgehen oft nachträglich Erklärungen liefern und noch besser vorab die richtigen Fragestellungen rausarbeiten.
Z.B. so wie die Kommunikation der Süßigkeit konzipiert ist, konkurriert hier die Ideen des sich selber Verwöhnens mit der des Geschenks für andere. Mit dieser Erkenntnis können jetzt die qualitativen Kollegen in Fokusgruppen überprüfen, ob dies in der Zielgruppe tatsächlich der Fall ist. Die quantitativ arbeitenden Kollegen können ermitteln, wie groß die Anteile sind, die das eine oder andere erkennen oder die durch den Konflikt gar keine Botschaft sehen. Und die Agentur kann beide Ideen nochmal in Reinform ausarbeiten. Übrigens berichten uns Agenturen häufig in solchen Fällen, dass die Vermischung der Ansätze erst auf Kundenwunsch vorgenommen wurde …
Was ist eigentlich die Bedeutung von Blau? Der Kontext entscheidet. Semiotik hilft
Farben sind übrigens ein häufig vorkommendes Thema. Denn anderes als es uns zu einfache Farbpsychologien wahrmachen wollen, haben Farben nicht per se eine tiefere Wirkung oder Bedeutung. Vielmehr ist die Wirkung von Farben stark Kontext abhängig und speist sich oft aus mit einander konkurrierenden Quellen. Blau z.B. kann gleichermaßen für Natur oder Technik stehen, für Wasser und Himmel oder für Blaulicht und RAL 5011 Stahlblau. Ist Blau die Farbe des Geistigen wie Kandinsky und der Blaue Reiter nahelegen oder die Farbe des Profanen, der Arbeiter wie es der Blaumann und die Blue Jeans vermuten lassen?
Hier kann eine vorgeschaltete Semiotik bei Marken- oder Produktdesign extrem hilfreich sein und viel Zeit, Geld und Ärger sparen. Bis das in den Abteilungen der Unternehmen und ihrer Dienstleister Common Sense ist, warten wie bei KMB| und die Semiotik im Allgemeinen gerne weiter auf die Situationen, in denen der Druck für neue Lösungen oder für schnelle und kostensparende Ansätze wieder mal unerträglich hoch ist. Wir freuen uns über jede Anfrage.