Sozial erzeugte Bedeutungen sind geldwert

„Digitale Semiotik – die neue Denkweise für digitale Unternehmen“.

In diesem Beitrag möchte ich Sie mit der These vertraut machen, dass eine 2000 Jahre alte Denkweise, die der Semiotik, der Theorie der Zeichen, die Gestaltung und das Management des digitalen Geschäfts voranbringen kann.

  • Das Forschungsprogramm lautet: Anwendung der Semiotik auf das digitale Geschäft.
  • Das praktische Programm lautet: „Besseres“ digitales Business durch Semiotik

Digitalisierung entmaterialisiert das Geschäft. Anstelle von physikalischen, chemischen und biologischen Eigenschaften wird die menschliche und technische Interpretation von Signalen als Zeichen immer wichtiger. Aus der analog-physikalischen Aufzeichnung auf Vinyl-Platte wurde die noch physische digitale Compact Disc, die digitale und speicherbare mp3-Datei und schließlich das flüchtige Streaming von musikalischen und sprachlichen Zeichen.

Seit 2000 Jahren beschäftigt sich eine wissenschaftliche Denktradition damit, wie Zeichen gedeutet werden: die Semiotik, die Theorie oder Wissenschaft der Zeichen. Heute geht es immer mehr darum, wie wir die Erkenntnisse der Semiotik für die digitale Welt und die digitale Wirtschaft nutzen können – denn das ist praktisch noch nicht geschehen. Ich werde anhand grundlegender semiotischer Konzepte deren Relevanz für das digitale Geschäft erläutern und damit das Potential eines semiotischen Forschungsprogramms für das Digital Business darstellen.

[Quelle: eigene Darstellung mit playgroundai.com]

Beginnen möchte ich mit

(1) sozial generierten, digitalen Bedeutungen und Bedeutungsprodukten – durch Attribution

Zeichen sind nicht nur Bezeichnungen für real existierende Objekte – wie viele vielleicht denken oder gedacht haben. Das Wort „Apfel“ bezieht sich nicht einfach auf einen realen Apfel. Zeichen sind dynamische Prozesse. Sie erweitern und verändern einen Gegenstand oder eine Situation durch ihren Gebrauch. Sie können ihn sogar erst erschaffen. Dies ist eine Schlüsselfunktion von Zeichen und kann als Attribution bezeichnet werden. Veranschaulicht wird dies oft im sogenannten semiotischen Dreieck. Hier wird eine dynamische Beziehung hergestellt zwischen:

  • einem sogenannten Zeichenträger, z.B. einem Wort,
  • einem Objekt, z. B. einem Produkt oder einer Person
  • und einem Gedanken.

Ein Beispiel: Wenn ich jetzt zu einem meiner Studierenden sage: „Du bist die beste und klügste Studentin in diesem Kurs“, dann ändert sich bei der Person etwas. Sie wird vielleicht sogar eine körperliche Reaktion bemerken, z.B. Erröten und alle anderen Mitstudierende werden sie sicher anders ansehen.

Dieser Effekt kann schnell wieder verschwinden und in wenigen Minuten oder Stunden haben es vielleicht alle schon wieder vergessen. Aber Zeichen – wir ziehen es oft vor, von Zeichenprozessen zu sprechen – können wie eine Auster arbeiten, die mit großer Ausdauer Wasser um ein Sandkorn spült und so mit der Zeit eine Perle entstehen lässt. So wie die einzelne Umspülung fast so irrelevant ist wie die einzelne Attribution, kann sie durch sehr häufige Wiederholung zur Entstehung eines sehr stabilen und wertvollen Elements führen: einer Perle oder eines stabilen und wirksamen, bedeutungsvollen Zeichens. Die die modernen digitalen Techniken sind Mittel, die gerade dieses ständige Wiederholen begünstigen können. Wenn Ihnen das Bild mit der Perle nicht gefällt, stellen Sie sich Schneeflocken vor, die sich zu einem Schneeball und dann möglicherweise zu einer Lawine entwickeln. Nicht ganz so stabil, aber vielleicht noch wirkungsvoller. Womit wir bei einem der, meiner Meinung nach, interessantesten digitalen Phänomene unserer Zeit wären.

[Quelle: eigene Darstellung mit playgroundai.com]

Taylor Swift. Taylor Swift ist so ein Schneeball, oder eine Lawine, wenn man so will. Taylor Swift ist ein in wiederkehrenden Interpretationen sozial erzeugtes und erweitertes, komplexes Zeichen. Der spannende digitale Aspekt ist, dass der soziale Austausch über digitale Medien ein Schlüsselelement für die Bedeutung und den Erfolg von Frau Swift ist. Anders als in vordigitalen Zeiten werden Stars, Idole, Ikonen – alles Ausdrücke für Zeichen, wie Sie vielleicht bemerken – nicht mehr durch das Handeln einiger weniger Manager und Multiplikatoren, Meinungsführer oder Gatekeeper geschaffen. Die Ikonen unserer Zeit werden im Dialog mit einer sozialen, digitalen Gemeinschaft geschaffen.

Die Semiotik ist nun die wissenschaftliche Disziplin, die in ihrer modernen Form – seit über 200 Jahren – die Analyse und das Verständnis von gesellschaftlich erzeugten Bedeutungen als ihre Kernkompetenz entwickelt hat:

  • Die Semiotik tut dies z.B. in gattungsspezifischen wissenschaftlichen Disziplinen wie der Kunst-, Literatur- und Musikwissenschaft bzw. -Semiotik
  • Sie hat aber auch Instrumente entwickelt, die im kommerziellen Bereich eingesetzt werden – Achtung: diese Tätigkeit wird nicht immer als Semiotik bezeichnet

Ich selbst berate seit mehr als 15 Jahren internationale Hersteller und Marktforschungsunternehmen mit semiotischen Methoden. Ein großes französisches Unternehmen hat mich über ein großes Marktforschungsunternehmen gefragt, warum seine TV-Werbung in Deutschland floppt. Eines der Dinge, die wir damals mit unserem Team gemacht haben, war die Verwendung der Google-Bildersuche, um die soziale Bedeutung der in den Spots verwendeten Testimonials zu ermitteln. Eine einfache semiotische Idee, aber offensichtlich hatte in Paris niemand daran gedacht. Bei den in den TV-Spots verwendeten Testimonials stellte sich heraus, dass viele von ihnen in den deutschen Ergebnissen kein klares Bild ergeben, viele sind in Deutschland relativ unbekannt – im Gegensatz zu Ms. Swift heute. Im Falle des französischen Kosmetikkonzerns führte dies dazu, dass nach einiger Überlegung ein deutsches Testimonial eingestellt wurde.

Wichtig ist an dieser Stelle die Einsicht, dass das Beispiel Taylor Swift deutlich macht,

  • dass gesellschaftlich generierte Bedeutungen – unsere Perlen oder Lawinen vieler einzelner Zeichenprozesse – großes Geschäft bedeuten
  • dass der Gegenstand des Geschäfts aus dem besteht, was wir Zeichen nennen
  • dass es mehr und mehr digitale Zeichen sind
  • dass Taylor Swifts Kohlenstoffbasis nur ein kleiner Teil ihrer Bedeutung und ihres geschäftlichen Erfolges ist
  • dass ihre Kohlenstoffbasis selbst mehr und mehr zum Gegenstand ihrer digitalen Erzählung wird, mit der Unter-Botschaft: Ja, es gibt sie wirklich!

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